Was ist Meditation? [1]

Der sitzende Buddha
Wer an Meditation denkt, wird sich vermutlich einen Menschen vorstellen, der bewegungslos und aufrecht im Lotossitz verharrt. Vor allem in den buddhistischen Traditionen wird diese Art der meditativen Versenkung geübt.

Buddha-Figur, fotografiert im Buddha-Museum in Traben-Trarbach

Es ist eine der unzähligen Methoden, die Menschen erfunden haben, um ihren Geist aus der Verstrickung mit Illusionen zu befreien, die uns davon abhalten die Wirklichkeit zu erkennen oder nicht erkennen zu wollen und dadurch mit ihr in Konflikt zu geraten, sei es, weil wir uns in Phantasien flüchten oder ihnen unbewusst folgen und dadurch für uns selbst und auch andere Leid erzeugen.

Die Methode des stillen Sitzens geht auf die frühen Yogis zurück und natürlich auf den historischen Buddha, Gautama Siddharta, der vor ca. 2500 Jahren in Indien lebte und lehrte.
Aber es gibt unzählig viele weitere Methoden, die im Laufe der Zeit entstanden. Dazu später mehr.

Der Autopilot
Wenn wir uns unseren Alltag mal genau anschauen und uns achtsam darüber klar werden, was wir da auf welche Art und Weise gewohnheitsmäßig den Tag über tun, werden wir sicher sehr erstaunt sein, wie automatisch alles vonstatten geht und wie wenig wir dabei bewusst anwesend sind. Vielleicht können wir uns manchmal nicht mehr daran erinnern, was wir vor 10 Minuten genau gemacht haben.
Wenn wir uns nicht bewusst sind, dass wir gerade etwas gewohnheitsmäßig tun, dann fehlt die Achtsamkeit und eine Art innerer Autopilot übernimmt automatisch die Steuerung unseres Handelns.
Das ist doch gar nicht schlecht, wirst Du sagen. Ist es auch nicht, wenn es um ganz praktische Alltags-Tätigkeiten geht, über die wir nicht jedes Mal nachdenken brauchen. Warum und bei welchen Gelegenheiten uns der Autopilot aber die Suppe versalzen kann, dazu komme ich später. Damit beschäftigt sich nämlich das Kerngeschäft der meditativen Praxis.

Achtsamkeit, Bewusstheit, Meditation
Diese drei Begriffe sind gewissermaßen „siamesische Drillinge“. Bewusstheit ist die Folge von Achtsamkeit und ohne Achtsamkeit gibt es keine Meditation.
Da haben wir also eine kausale Verkettung.

Heißt das dann, dass ich meditiere, wenn ich mir bewusst bin, was ich gerade tue? Ja, es ist der Einstieg in die Meditation.
Achtsamkeit bedeutet auf sich aufzupassen. Bewusstheit bedeutet genau zu wissen, was jetzt und hier gerade geschieht. Das geht nur, wenn ich achtsam bin.
Achtsamkeit ist somit eine Geistesformation, die der Konzentration sehr ähnlich ist. Ich bin dann mit einem bestimmten Bereich meines Tuns, Denkens oder Fühlens in direktem Kontakt. Eine Ausweitung meiner Achtsamkeit auf weitere, umliegende Bereiche nennt man Gewahrsein.

Ein paar Meter Meditation bitte!
Wenn Du Dich entschließt, ab jetzt jeden Morgen auf dem Weg vom Aufstehen bis zum Bad ganz bewusst wahrzunehmen, was Dein Körper tut und welche Gedanken, Gefühle und Emotionen sich in Dir bewegen, wirst Du nach einigen Tagen staunen, was alles in Dir los ist.
Du wirst vor allem feststellen, wie klebrig Gedanken, Gefühle und Emotionen sind und wie aufdringlich Gedanken beginnen, Dir eine Geschichte über Dich und das Leben zu erzählen.
Das mag ja ganz interessant sein, aber diese Geschichten haben meist gar nichts mit dem zu tun, was hier und jetzt an diesem Morgen auf den paar Metern von Deinem Bett zum Bad wirklich passiert.

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
Jeder kennt diese drei Zeitebenen. Oft sind wir jedoch mit Erinnerungen und Planungen beschäftigt, weil unser Verstand uns immerzu vor gefährlichen Situationen zu warnen versucht, die er aus der Vergangenheit in die Zukunft projiziert, egal, ob es mit dem Hier und Jetzt direkt zu tun hat.
Anders formuliert, bewegen wir uns immer zwischen Ängsten und Hoffnungen hin und her.

Annehmen und Loslassen
Es ist eine Grundeigenschaft des Geistes, entweder etwas Unerwünschtes weg zu schieben oder etwas Erwünschtes heran zu ziehen. Das Gegenteil wäre Annehmen und Loslassen und diese innere Haltung zu integrieren, das ist ein Kernanliegen der meditativen Praxis. Es gründet sich auf die Erkenntnis, dass alles vergänglich ist. Es ist ein Kommen und Gehen, Entstehen und Vergehen und sich gegen diesen naturgegebenen Prozess zu stellen, erzeugt Leid. Es bremst den Fluss des Lebens, etwas das Vergehen muss festzuhalten oder etwas das Kommen will weg zu schieben.
Natürlich wirst zu heran ziehen wollen, was Du Dir wünschst und Du wirst weg schieben wollen, was Dir zuwider ist. Allerdings wirst Du das Erwünschte nicht behalten können und das Unerwünschte wird ohnehin wieder vergehen. Das Ganze deutet also auf einen entspannten, gleichmütigen und akzeptierenden Umgang mit Dingen und Ereignissen hin.

Gedanken werden Dinge
Dieser geflügelte Spruch hat es bis in die Quantenphysik geschafft, wo er Bestätigung findet.
Die Materie folgt der Aufmerksamkeit.
Max Planck, Physiker und Begründer der Quantenphysik, beschrieb es mit folgendem Satz: „Es gibt keine Materie, sondern nur ein Gewebe von Energien, dem durch intelligenten Geist Form gegeben wurde. Dieser Geist ist Urgrund aller Materie.„.
Was wir denken und fühlen, ist Ausgangsstoff für das, was wir später als Dinge oder Ereignis sehen können.

Die Hirnforschung auf Buddha’s Spuren
Bis in die 1960er-Jahre waren Religion und Spiritualität kein Thema für die Wissenschaft. Das änderte sich, als der Kardiologe Herbert Benson an der Harvard Medical School begann, sich für die Wirkung der Transzendentalen Meditation des Mararishi Mahesh Yogi zu interessieren.

Bildquelle: Wikipedia, Maharishi Mahesh Yogi 1978

In diesem Zusammenhang kam Benson in Kontakt mit den Bandmitgliedern der „The Beatles“, die damals Anhänger des Yogi waren.
Die Benson-Meditation, auch Relaxation-Response genannt, war seinerzeit Ergebnis der Erforschung der Zusammenhänge zwischen Geistesschulung und Vorgängen im Gehirn.
In den späten 1970er-Jahren entwickelte der amerikanische Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn die Methode der Mindfulness-Based Stress-Reduction (MBSR), die als Methode zur Stressbewältigung wissenschaftlich anerkannt bis heute angewendet wird.
Durch EEG-Messungen weiß man, dass Meditation zur Harmonisierung der Gehirnwellenmuster beiträgt. Die analytischen und intuitiven Bereiche des Gehirns gleichen sich aneinander an und durch bewusstes, ruhiges Atmen sorgt das parasympathische Nervensystem für Entspannung und innere Ruhe.

„Die Medizin ist inzwischen wirklich Teil der Medizin.“

Prof. Saki Santorelli (Center Of Mindfulness In Medicine Health Care And Society, Worcester, USA

Der Säuberungsagent
Meditation ist keine Pille, die man einnimmt. Meditation ist vielmehr eine Disziplin, eine Lebenseinstellung, für die es Regeln gibt. Meditation ist eine Reise zu sich selbst, die alles offenbart.
Viele Menschen folgen diesem Trend, der Entspannung, Stressabbau und neue Horizonte für das eigene Erleben verspricht.
Und tatsächlich erweist sich die Meditationspraxis als eine Art Säuberungsagent, der Muster des Denkens und Handelns bewusst werden lässt, so dass diese verändert oder aufgelöst werden können.
Viele Menschen beginnen mit Meditation und erleben, dass es sie an Bereiche in ihnen selbst führt, die ungeliebt sind oder gar unangenehm sind.

„Ein Meditationskurs ist eine Reise nach innen, zu der man bereit sein muss…“

Ayya Khema, buddhistische Nonne der Theravada-Tradition

Man kann Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst und der Welt wollen. Man kann Entspannung, Stressabbau, neue Horizonte, Liebe und Mitgefühl wollen, aber es bedarf einer Entscheidung, sich der eigenen inneren Realität zu stellen. Es braucht Willenskraft, um diese Entscheidung herbeizuführen.

Achtsamkeit gegenüber sich selbst kann man lernen und dann üben. Man wird schon nach kurzer Zeit feststellen, dass sich Achtsamkeit immer häufiger ganz von selbst einstellt. Meditation und Achtsamkeit reinigen den Geist von Unbewusstheit ganz automatisch.

Meditation im Alltag
Das Üben von meditativen Methoden kann nie alleine stehen.
Wenn wir unsere innere Entwicklung vorantreiben wollen, müssen wir unseren Alltag unbedingt mit einbeziehen. Halten wir Alltag und meditative Übungen getrennt voneinander, dann wird sich kein Erfolg einstellen.
Die Erfahrungen und Einsichten, die sich während meditativer Übungen zeigen, helfen uns, die Situationen und Umstände des Alltags in einem neuen Licht zu sehen und diese Erkenntnisse können dann in meditativen Übungen weiter vertieft werden.

Kommen wir aber zurück zu unserem inneren Autopiloten.
Ich hatte angesprochen, dass er uns die Suppe des Lebens gründlich versalzen kann, indem er unsere Bewusstheit weitgehend ausschaltet und uns auf der Basis seiner Gewohnheiten und Muster zu Schlafwandlern macht.
Jeder kennt von sich diese automatischen Reaktionen auf bestimmte Situationen, die immer wieder – wie auf Knopfdruck – abgerufen werden. Das ist der Autopilot.
Wir ahnen auch, dass uns verschiedene emotionale Reaktionen zu eigen sind, die wir als Begierde, Ablehnung, Trägheit, Ablenkung oder Unentschlossenheit erleben. Es sind menschliche Reaktionen, die wir ausnahmslos alle haben.
Während der Meditationspraxis kommen wir sehr intensiv mit ihnen in Kontakt und wenn wir konsequent üben, werden sie uns im Alltag immer früher begegnen und wir haben dann die Möglichkeit uns anders zu entscheiden und nicht dem Autopiloten zu folgen.
Das alles geht nicht von heute auf morgen. Es sind viele kleine Schritte. Manchmal zwei Schritte nach vorne und einen zurück und dann wieder nach vorne. Stillstand wird es nicht geben. Darüber sprach schon der Buddha. Es geht entweder vorwärts oder rückwärts. Wir können aber ganz sicher sein: der Geist macht mit. Er ist offen für unsere Bemühungen und er ist lernfähig, was immer wir ihm geben.

Viele Methoden auf zwei Wegen in zwei Richtungen
Anfangs hatte ich erwähnt, dass es unzählige Methoden gibt, die zur Meditation führen können. Nicht für alle ist eine bestimmte Methode die passende. Wir können wählen. Da gibt es stille Methoden bei bewegungslosem Sitzen auf dem Meditationskissen, es gibt aktive Methoden wie Tanz, Yoga, Qigong, Musizieren, achtsames Gehen, Mantrasingen, usw.
Osho hatte in den 1970er-Jahren die aktiven Meditations-Methoden in den Westen gebracht und Tausende Anhänger gefunden. Seine teils kathartischen, Körper betonten Methoden aus Tanzen, Feiern und Toben, schienen für die westlichen Menschen geradezu geschaffen. Auch heute noch erfreuen sich Methoden, wie die Dynamische Meditation, die Kundalini-Meditation uva. großer Beliebtheit.

„Meditation ist die einzige Antwort auf alle Fragen des Menschen. Sei es Frustration, sei es Depression, sei es Traurigkeit, sei es Sinnlosigkeit, sei es Verzweiflung: Die Probleme können vielzählig sein, aber es gibt nur eine Antwort, und die Antwort ist Meditation.“

Osho, Light on the path
Osho in den 1970er-Jahren


Unzählige Methoden, auf zwei Wegen in entweder stiller oder aktiver Form, können nur in zwei Richtungen gehen.
Die eine Richtung ist Ruhe (Samatha). Damit gemeint ist das Üben einer Methode, durch welche der Geist durch Konzentration auf den Atem oder ein anderes Meditationsobjekt von seiner Ablenkbarkeit und Rastlosigkeit zur Ruhe gebracht wird. Es ist eine vorbereitende Übung, von der aus die Meditation in die Richtung der Einsicht (Vipassana) geht. Vipassana bedeutet in sich selbst sehen und Erkanntes bewusst zu erleben. Das Erkannte können Zusammenhänge zwischen Gedanken, Gefühlen, Körperempfindungen und Reaktionen sein oder das Gewahrwerden der Grundstimmung oder die Erkenntnis der Vergänglichkeit beim Auftauchen und Vergehen von Gedanken.

Freundschaft schließen mit sich selbst
Der Sinn von Meditation ist, eine lebenslange Freundschaft mit sich selbst zu schließen, in der Mitgefühl, Liebe, Akzeptanz, Wohlwollen und Wahrhaftigkeit tragende Tugenden sind und ganz selbstverständlich auch nach außen getragen werden.
Der Buddha suchte vor 2500 Jahren einen Weg aus dem menschlichen Leid und er fand diesen Weg auch durch Meditation.
Den Weg aus dem Leid zu finden, bedeutet allerdings nicht, dass man den Schmerz vermeiden könne, denn wer den Schmerz vermeiden will, sperrt auch die Freude aus.
Das Ablehnen von Schmerz und das Festhalten an der Freude erzeugt Leid.
Annehmen und Loslassen befreit uns vom Kampf gegen das Leben, dessen natürlicher Ausdruck Veränderung durch Vergänglichkeit und Erneuerung ist.
Es ist die Entspannung und Öffnung des Geistes und die Hingabe an den Fluss des Lebens, was als grundsätzliche Erinnerung in leuchtender Schrift vor jeder meditativen Praxis auftauchen sollte.

Gefahren der Meditation
Meditation hat viele gute Wirkungen auf unsere Psyche und auch auf unseren Körper. Beides ist ohnehin nicht voneinander zu trennen, beeinflusst sich also auch gegenseitig.
Eine Gefahr besteht darin zu glauben, dass Meditation ein Allheilmittel sei. Das ist sie natürlich nicht.
Gerade Menschen mit manifesten körperlichen Erkrankungen, sollten in jedem Fall auch den Arzt ihres Vertrauens hinzu ziehen und nicht darauf vertrauen, dass sie ihr Problem allein durch Meditation lösen könnten.
Das Gleiche gilt in besonderem Maße für Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Aber auch wer sich körperlicher und psychischer Gesundheit erfreuen kann, sollte sich davor hüten Meditation mit unrealistischen und gar zu phantasievollen Erwartungen zu verbinden.
Natürlich gab und gibt es Menschen, die tiefgreifende transzendente Erfahrungen machten und in Zukunft auch immer wieder machen werden.
Der ehrgeizige und sehnsüchtige Wunsch danach kann aber dazu führen, dass man sich in eine Traumwelt einspinnt und den Boden unter den Füßen verliert.
Meditation ist sehr gewöhnlich, bodenständig und direkt. Sie ist so bodenständig, direkt und ehrlich, wie das Leben nur sein kann und deshalb so wertvoll.