Achtsamkeit und Gewahrsein

Achtsamkeit und Gewahrsein scheinen auf den ersten Blick das Gleiche zu sein.
Es gibt aber einen kleinen, aber wichtigen Unterschied.


Achtsamkeit

Wenn wir achtsam sind, dann sind wir vollkommen mit unserer aktuellen Handlung identifiziert. Es ist die „Einspitzigkeit“, die Punktgenauigkeit der Wahrnehmung auf das was wir gerade tun oder erleben.Ich kann achtsam sein, wenn ich Geschirr spüle oder Wäsche zusammen lege. Dabei bin ich konzentriert achtsam auf die Bewegungen meiner Hände.In diesem Sinne beschreibt Achtsamkeit einen sehr engen Bereich der Wahrnehmung, der aber äußerst konzentriert ist.


Gewahrsein

Gewahrsein ist auch eine Achtsamkeit, die aber über die oben genannte Punktgenauigkeit hinaus geht. Im Gewahrsein nehmen wir beim Geschirrspülen nicht nur die Bewegung unserer Hände wahr, sondern nehmen auch die Temperatur des Wassers wahr, nehmen die Geräusche des Geschirrs und andere Geräusche um uns wahr und auch unsere unmittelbare Umgebung.Im Gewahrsein erhalten wir eine Gesamtsicht auf die jeweilige Situation. Im Gewahrsein liegt der Beginn der Einsicht (Vipassana) in die gesamte Situation.

Die Stück-für-Stück-Methode als Schlüssel zur Meditation

Das Leben ist ein Gefühl

„Verbinde dich mit deinem Atem…“, ist die erste Affirmation bei vielen Meditationssitzungen und tatsächlich fällt es vielen Menschen nicht ganz leicht, konzentriert ihrem Atem zu folgen.
Aber die Atembetrachtung ist eben auch nur eine Methode unter vielen, die zur Verfügung stehen.

Bildquelle: Kenrick Mills, lizenfreie Bilder auf unsplash.com

Grundsätzlich dienen jegliche Methoden nur dazu, den Geist zu beruhigen und ihn dadurch auf einem Punkt zu halten, was dann in die Meditation führen kann.
Ist der Geist unruhig und mit wechselnden Gedanken und Emotionen beschäftigt, entspricht es einer Hand, die versucht das Schlüsselloch zu finden.
Ist die Hand ruhig, wird es leicht gelingen.
Ein anderer Vergleich ist ein aufgewühlter See, bei dem wir nur die Oberfläche mit den Wellen sehen können. Erst wenn der See sich beruhigt, können wir in die Tiefe schauen.

Eine Methode, die nicht so bekannt ist, ist die von der buddhistischen Nonne Ayya Khema empfohlene „Stück-für-Stück-Methode“, auf die sich dieser Beitrag bezieht. Das Besondere an dieser Methode ist, dass wir während der etwa 1-stündigen Übung mit unserem Geist – also mit der fokussierten Wahrnehmung – Stück für Stück durch die einzelnen Bereiche unseres Körpers wandern, dort jeweils aufkommende Empfindungen, Gefühle oder Emotionen in ihrer Qualität wahrnehmen, dann wieder loslassen und zur nächsten Stelle weitergehen. Von der Nasenspitze bis zu den Zehenspitzen wird jeder Teil des gesamten Körpers behandelt. Die Betrachtung des Atems spielt bei dieser Methode keine Rolle.


Diese sehr schöne Methode hat vier sehr wertvolle Effekte.
Ein Effekt ist die Stärkung der Konzentrationsfähigkeit, die wir während der Übung brauchen, um eine gewisse Zeit konzentriert und aufmerksam mit dem Geist an einer Körperstelle zu bleiben. Ein weiterer Effekt ist die Verbesserung der Fähigkeit zum Loslassen, die wir brauchen, um von einer Stelle zur nächsten gehen zu können.
Der dritte Effekt ist die Möglichkeit, mit der Stück-für-Stück-Methode selbstverständlich auch ein meditatives Erleben ermöglichen zu können.
Der vierte Effekt ist, dass wir mit dieser Methode in die Lage kommen können, energetische Blockaden in unserem Körper aufspüren, lindern oder gar auflösen zu können.

Schau unter Termine, wann Du an dieser Meditation teilnehmen kannst.

Samatha und Vipassana

Samatha und Vipassana sind Sanskrit-Begriffe und beziehen sich auf die beiden Richtungen, in die Meditation gehen kann.

Li Dingzeyu auf Unsplash.com

Samatha

Samatha bedeutet ruhiges Verweilen und zielt darauf ab, den Geist durch eine entsprechende Methode zur Ruhe zu bringen.
Samatha ist selbst keine Methode, sondern eine der beiden Richtungen, in die Meditation gehen kann.
Die stille Sitzmeditation mit Atembetrachtung, ist eine klassische Methode, mit der Samatha geübt wird. Die Betrachtung des Atems ist in diesem Fall das sogenannte Meditationsobjekt.
Übende konzentrieren sich dabei auf die Wahrnehmung der Atembewegung und halten dadurch den Geist fokussiert in dieser Wahrnehmung (exekutive Aufmerksamkeit).
Ein anderes Meditationsobjekt wird in der Stück-für-Stück-Methode verwendet. Hier findet nicht die Betrachtung des Atems statt, sondern die abwechselnde Wahrnehmung einzelner Körperbereiche (selektive Aufmerksamkeit).

Vipassana

Vipassana bedeutet Einsicht in die Natur der Dinge. Es bedeutet Einsicht zu nehmen in sich selbst und die Prozesse und Muster zu erkennen, in denen der Geist arbeitet.
Vipassana ist die andere Richtung, in die Meditation gehen kann.

Mit Einsicht ist hier keine intellektuelle Einsicht gemeint, sondern ein plötzliches, nichtbegriffliches, nichtsprachliches Verstehen, für das in diesem Moment noch keine beschreibenden Worte verfügbar sein müssen.
Klassisch richtet man die Wahrnehmung auf die Vergänglichkeit der Dinge, Gedanken und Gefühle (Anicca), auf das Erleben von Unerfülltheit durch z.B. körperliche Missempfindungen oder durch Langeweile oder sonstige Abneigungen (dukkha) und schließlich auf die Substanzlosigkeit aller Dinge (anatta). Letzteres bedeutet, dass alles nicht aus sich selbst besteht, sondern das Produkt aus einer Vielzahl von Teilen ist.
Das Üben von Vipassana ähnelt sehr der Kontemplation, bei der man in entspannter innerer Haltung Gedanken und Einsichten in Bezug auf ein bestimmtes Thema aufsteigen lässt, was zu Klarheit und Verständnis führt.


Siehe auch „Drei Komponenten der Aufmerksamkeit