Meditation und Atem

Jeder, der sich irgendwann einmal mit Meditation beschäftigt hat, wird wissen, dass die Konzentration auf den Atem und der Erfolg der Meditation eng miteinander in Verbindung zu stehen scheinen.
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Warum könnte das so sein? Zunächst einmal ist Atmen ein physiologischer Vorgang, den unser Körper für uns ausführt, ohne dass wir uns darum kümmern müssen. Das heißt, wir können uns in diesen natürlichen und selbständig ablaufenden Vorgang konzentriert beobachtend hinein entspannen und damit die Erfahrung von Meditation in der Folge möglich werden lassen.

Ähnlich ist es mit dem Gehen oder jeder anderen Tätigkeit, die unser Körper gewohnheitsmäßig vollkommen integriert hat, ohne dass wir uns dabei kontrollierend anstrengen müssten.

Der Atem ist nicht zwingend das einzige Meditationsobjekt. Es gibt viele andere, die auch in die Meditation führen. Aber der Atem ist das geläufigste, praktikabelste und sogar das bequemste Meditationsobjekt, denn atmen können – und sollten – wir immer und überall. Der Atem steht also als Meditationsobjekt jederzeit zur Verfügung.

Warum kann die Konzentration auf den Atem aber in die Meditation führen?
Konzentration und Meditation sind nicht das Gleiche!
Konzentration ist lediglich eine vorbereitende Übung auf die Meditation, um den umtriebigen Geist erst einmal auf einen Punkt, nämlich die Atmung, zu fokussieren. Dadurch beruhigt sich der Geist. Er gibt irgendwann nach und bleibt im Gewahrsein des Atems, ohne abzuschweifen und ohne sich wieder in Gedanken und Geschichten zu verlieren. Ist das erreicht, weitet sich die Wahrnehmung in der Stille ins offene Gewahrsein aus. Die tieferen Ebenen des bewussten Erlebens werden berührt. Die immer vorhandenen, aber sonst verdeckten Potentiale des Geistes, werden bewusst. Meditation beginnt sich zu entfalten. Dazu aber später mehr.

„Erst wenn sich der See beruhigt, kannst du in die Tiefe schauen. Das Gleiche geschieht beim Eintritt in die Meditation. Wenn sich die Gedanken beruhigen, kannst du tiefere Ebenen des Geistes erreichen.“

Wer sich nun als Übender für die Atembetrachtung entscheidet, wird das gewöhnlich in aufrecht sitzender, stabiler und wachsamer Haltung praktizieren und seinen zunächst meist umtriebigen Geist auf den bewegten Fluss des Atems fokussieren wollen.

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Gar nicht so einfach, werden vor allem Anfänger der Praxis sagen, denn der Geist ist raffiniert und betriebsam und verdrängt die Aufmerksamkeit auf den Atem doch immer wieder mit den verrücktesten Geschichten und Gedanken.
Manch einer denkt dann, dass es einfach zu schwierig sei, verhält sich doch der ungeübte Geist wie ein junger, verspielter Hund, der nicht hören will und der macht eben was er gerade will.

Wenn das so ist, dass es auf dem Weg in die Meditation Schwierigkeiten gibt und die wird es fast immer geben, dann wird einem irgendwann klar werden, dass es noch ein paar hilfreiche Fähigkeiten zu entdecken und zu erlernen gilt, denn einfach nur aus dem Stehgreif sich hinzusetzen und zu probieren, kann sehr schnell in die Frustration führen.

“Das Glück macht dich süß. Versuche machen dich stark. Schmerzen machen dich menschlich. Niederlagen machen dich bescheiden. Erfolge machen dich brilliant.”

Was sind das nun für Fähigkeiten?
Es sind allesamt Fähigkeiten, die wir zwar aus dem Alltag kennen, die wir aber nicht unbedingt gut beherrschen.
Da ist die Willens- und Entschlusskraft. Da ist die Geduld, die Disziplin. Da ist aber auch die Fähigkeit und Bereitschaft zur Hingabe, die Fähigkeit und Bereitschaft des Loslassens und die Bereitschaft des Akzeptierens.

Geduld und Disziplin brauche ich, um meine Sitzung bis zum Ende durchzuführen. Disziplin brauche ich auch, um mich an meine Übungszeiten zu halten und Geduld auch dafür, um mich von Schwierigkeiten und Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen.
Hingabe hilft mir, mich ganz auf meine Übungspraxis einzulassen und die Bereitschaft zum Loslassen und Akzeptieren entwickeln sich als Früchte der Übung mit der Zeit, weil mich die Meditationspraxis innerlich immer entspannter und gleichmütiger macht.
Wer die genannten Fähigkeiten ein wenig oder gut beherrscht, wird beim Meditieren weniger Schwierigkeiten haben.

Wenn die genannten Fähigkeiten aber noch Brachland sind, ist der erste Schritt, sich ihres Fehlens erst einmal bewusst zu werden, denn sie werden als Hindernisse auf dem Weg in die Meditation erlebt.
Wenn man sich diese Hindernisse im Hinterkopf behält und beim Meditieren mit ihnen in Kontakt kommt, wird man sie sehr schnell erkennen können. Das Erkennen ist der erste und wichtigste Schritt, denn es ist notwendig zu wissen, womit man es zu tun hat und woran man noch zu arbeiten hat.
Ganz hinderlich ist, sich zu ärgern oder sich selbst zu verurteilen oder die Umstände zu bemängeln. Nichts, außer einem selbst, ist verantwortlich dafür, dass Meditation nicht gelingen will und für das Gelingen sind Wissen um die notwendigen Voraussetzungen und Übung erforderlich.

Wenn es also so ist, dass Konzentration auf den Atem auf die Meditation vorbereitet und der Konzentration verschiedene Hindernisse im Wege stehen, die wir aber entkräften können, dann haben wir schon einen klaren Fahrplan und müssen nur wissen, wie wir die Hindernisse überwinden und wie wir dann von der Konzentration in die Meditation gelangen.

„Die höchste Form der Intelligenz besteht darin, sich selbst wahrzunehmen, zu beobachten und sich seiner selbst bewusst zu sein, ohne sich selbst zu beurteilen.“

Jiddu Krishnamurti

Der erste Schritt die genannten Hindernisse zu überwinden, ist also, sie erst einmal als Hindernisse klar zu erkennen. Ich erkenne also beispielsweise, dass in mir gerade Ungeduld aufkommt, die mich unruhig macht. Der zweite Schritt ist, zu akzeptieren, dass da gerade Ungeduld ist, der ich bisher nachzugeben gewohnt war, indem ich mein Verhalten änderte, um die Ungeduld zu vertreiben.
Indem ich die Ungeduld als Hindernis erkenne ohne gewohnheitsmäßig ablehnend zu reagieren, akzeptiere ich in diesem Moment ihr Erscheinen in mir. In diesem Moment des Erkennens bin ich nicht mehr der Ungeduldige, sondern der bewusste Betrachter dieser geistigen Strömung. Es findet eine Auflösung von Identifikation mit der hinderlichen, geistigen Strömung statt. Ich gebe ihr nicht mehr nach und ich kann mich neu entscheiden und zur Konzentration auf meinen Atem zurückkehren.
Dieser Prozess des Erkennens, Akzeptierens und Auflösens von Identifikation, wird in einer Sitzung ganz sicher mehrmals geschehen, aber im konsequenten Wiederholen des Prozesses liegen Sinn und Lerneffekt der Übung. Niemand kommt um diese Übungsschritte herum!

„Übe dich auch in den Dingen, an denen du verzweifelst!“

Marcus Aurelius

Sobald ich wirklich bereit bin, die Hindernisse akzeptierend anzuschauen und entschlossen bin ihnen nicht zu folgen, kann ich sie überwinden.
Es ist kein Verdrängen oder harsches Ablehnen. Es ist eine klare und freie Entscheidung und damit tatsächlich ein Akt der Liebe.

Mit dieser Entscheidung kehre ich zur Konzentration auf meinen Atem zurück. Meine Konzentration kann so total und vollständig sein, dass nichts als Atmen übrig bleibt. Ich werde zum Atem. Wenn ich ganz im Atmen aufgehe, ist mein Geist vollkommen fokussiert. Er ist nur noch auf einen Punkt gerichtet und damit vollständig in der Ruhe.

Dieser Moment der vollständigen Ruhe ist der Moment, in dem ich den inneren Raum der Meditation betrete. Es ist keine Entscheidung, kein Tun. Es geschieht einfach. Es ist wie eine Tür, die sich wie von Zauberhand öffnet und ich den inneren Raum betrete, in der sich meine Wahrnehmung augenblicklich erweitert.

Ab diesem Moment haben wir die Möglichkeit, die ersten Stufen der Meditation zu erfahren. Im Buddhismus werden sie Rupa Jhanas genannt. Es sind die ersten vier Stufen der meditativen Versenkung, die körperlich empfunden werden.

  1. Piti (Wird übersetzt mit „Entzücken“ oder „Interesse“, weil ab diesem Moment ein wirkliches Interesse an der Wirkung von Meditation geweckt wird.)
  2. Freude (Es ist Freude, die keinen Bedingungen unterworfen ist. Es ist Freude aus sich selbst heraus.)
  3. Zufriedenheit (Gemeint ist tiefer innerer Frieden.)
  4. Stille

Um Missverständnissen vorzubeugen sei gesagt, dass es in der Meditationspraxis nicht darum geht, sich das Denken abzugewöhnen. Wir sollten froh darüber sein, dass wir ein so leistungsfähiges Nervensystem haben!
Wie schön wäre es aber, wenn wir nur das denken würden, was uns freier und friedvoller werden lässt und wir damit uns selbst und unsere Mitwelt glücklicher machen?

Yeshi Papamojo
Author: Yeshi Papamojo



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